Warum Futterbeutel?

Vom Beutegreifer Hund und seinen angeborenen Verhaltensweisen


Kurzer Exkurs in die Entstehung der heutigen Haushunde (Canis lupus familiaris)

Der Hund stammt vom Wolf ab und wurde vor ca. 12 – 14000 Jahren domestiziert. Domestikation ist ein genetischer Vorgang, d.h. Haustiere entstanden unter der Kontrolle des Menschen durch gezielte Verpaarung, um ein Zusammenleben mit dem Menschen oder eine Nutzung durch den Menschen zu ermöglichen. Im Vergleich zum Wolf (Canis lupus), dem Urvater aller Hunde, verfügt der Hund unter anderem über eine wesentlich geringere Gehirngrösse (Abnahme durchschnittlich 20 %) und über durchschnittlich schlechtere Sinnesleistungen (hören, sehen, riechen), jedoch über eine geringere Schreckhaftigkeit sowie eine grössere Toleranz bezüglich Individualdistanz (Haushunde mögen Körperkontakt!). Je nachdem, wofür der Hund gebraucht wird, hat der Mensch die Häufigkeit und Intensität des Verhaltens von Wölfen angepasst sowie die Körperform und die Färbung abgewandelt. Aber: Genetisch gesehen gleichen unsere Haushunde den Wölfen zu über 98 % und weisen qualitativ alle Merkmale von Wölfen auf. Somit sind sie Beutegreifer geblieben, und zwar soziale Beutegreifer (der Wolf wie auch der Hund ist ein Rudeltier)!

 

Verhaltensbiologie

Der Begriff Beutegreifer bezeichnet landgebundene Arten, die andere Organismen jagen und sich von diesen ernähren. Als Beutegreifer ist demzufolge der Hund jagdlich veranlagt, das heisst: Jagen ist eine angeborene Verhaltensweise! (Der Begriff „Instinkt“, z.B. Jagdinstinkt, wird unter Verhaltensbiologen heute als ungebräuchlicher Begriff bezeichnet und durch den Begriff „angeborene Verhaltensweise“ ersetzt). Eine angeborene Verhaltensweise bezeichnet  Verhalten, das spontan und vollkommen ohne Erfahrung schon beim erstmaligen Ausführen von Geburt an beherrscht wird, also genetisch bedingt ist.

 

Als Jagd bezeichnet man das Aufsuchen, Nachstellen, Fangen und Erlegen von Beutetieren.

 

Jagdsequenzen beim Wolf/Hund

  • Ungerichtetes Suchverhalten, Orientierung, Stöbern
  • Aufnahme einer Fährte oder Sichtung oder Witterung -> Appetenzverhalten (zielgerichtetes Vorgehen zur Erfüllung eines Bedürfnisses, z.B. Hunger!)
  • Anschleichen, Umkreisen, Fixieren
  • Verfolgen, Hetzen
  • Zupacken und zu Boden reissen
  • Töten
  • Fressen

Der Futterbeutel ist eine Ersatzbeute!

Die englische Bezeichnung für Futterbeutel lautet Preydummy – dieses Wort beschreibt korrekter als das deutsche Wort, worum es eigentlich geht!

 

Prey = Beute

Dummy = Attrappe

 

Mit wenigen Ausnahmen dürfen unsere heutigen Haushunde nicht mehr jagen. Aber jeder Hund ist jagdlich veranlagt, je nach Rasse und Charakter stärker oder schwächer.

 

In der Ausbildung von jagdlich geführten Retrievern (to retrieve bedeutet zurückholen, apportieren) werden z.B. Duck Dummys eingesetzt, um dem Hund das korrekte Zurückbringen der Beute (Ente) beizubringen. Von Windhunderennen oder Coursing (Köderhetze) kennen wir die „falschen Hasen“, also Rabbit Dummys, denen die Hunde nachsprinten. Jan Nijboer, der "Erfinder" des Futterbeutels, gibt uns Menschen mit Hunden ein geniales Werkzeug in die Hand, mit dessen Hilfe wir unsere Hunde sinnvoll beschäftigen können.

 

Mit einem „Beute-Ersatz“, also dem Futterbeutel, können wir für unseren Hund spannende Ersatz-Jagden kreieren, die seinem natürlichen Jagdverlangen entsprechen. Durch gemeinsame ersatzjagdliche Aktivitäten wie z.B. Mantrailing, Fährtenarbeit, Hetzjagd an der Reizangel, Apportieraufgaben, Revieren etc. können wir unseren Hund kontrolliert und als Team mit uns Menschen zusammen sinnvoll beschäftigen. Deshalb soll der Futterbeutel IMMER Futter enthalten, damit sich die „Jagd“ auch lohnt!

 

Aufbau und Etablieren des Preydummy

Einzig für den Aufbau (also das Verständnis, worum es geht) müssen wir kurzfristig in die Trickkiste der klassischen Konditionierung greifen. Nur so lange, bis der Hund begriffen hat, WAS ein Futterbeutel ist und dass er ihn jagen/erbeuten/erschnüffeln darf! Dazu sind – je nach Hund – teilweise sehr, sehr kleine Schritte nötig, um dem Hund den Preydummy schmackhaft und spannend zu machen. Zuerst wird also tüchtig aus dem FB gefüttert! Da sind richtig tolle Leckereien drin, für die sich ein voller Einsatz lohnt! Auf diesen ersten Schritten begleite ich jedes Mensch/Hundeteam individuell. Etablieren des FB bedeutet, dass wir nun Variationen in die Arbeit bringen und auch eine Signalstruktur aufbauen (falls noch nicht vorhanden). Auch bekommt nun der Hund nicht immer aus jedem erbeuteten FB etwas zu essen, sondern lernt, dass wir, sein Mensch, die Beute verwalten und verteilen. Und zwar dann, wenn es uns passt. Dabei lernt der Hund also automatisch, dass wir – als „Materialverwalter“ – eine Führungsrolle einnehmen.

 

Arbeiten mit dem Futterbeutel

Ist der FB etabliert und spannend für den Hund, gibt es zig Varianten, diesen zu verstecken oder jagen zu lassen. Hier ist Kreativität gefragt, und genau das zeige ich in meinen unterWäX-Kursen!

 

Mehr als nur Beschäftigung: Bindungsvertiefung, Jagdkontrolle

Da ein Hund seine Aktivitäten nicht in Hobby/Freizeit sowie Arbeit/Ernstfall einteilt, kann die Arbeit mit dem Futterbeutel nach sauberem Aufbau und Etablieren ganz natürlich in den Alltag eingebaut werden. Das heisst, der oder die FB sind (in der Tasche oder im Gilet) dabei, wenn wir mit unserem Hund unterwegs sind. Vielleicht „verlieren“ wir mal unbemerkt einen FB und schicken unseren Hund nach einigen Metern zurück auf die Suche, oder wir deponieren einen FB in einer Holzbeige am Waldrand und lassen unseren Hund auf dem Rückweg danach suchen. Oder wir legen vor dem Spaziergang eine Fährte (z.B. mit Pansenwasser oder ähnlichem), an deren Ende ein FB (der als logische Konsequenz dann Pansen enthält) im Baum hängt, und arbeiten diese Fährte gemeinsam mit dem Hund, bevor es zurück nach Hause geht. Wenn wir erreichen, dass der Hund Freude daran hat, gemeinsam mit seinem Menschen ersatzjagdliche Aktivitäten zu unternehmen, sind wir automatisch interessant(er) und wichtig(er) für den Hund als vielleicht dieser Jogger, jener freilaufende Nachbarshund oder gar das Reh am Waldrand.

 

Im Zusammenhang mit der FB-Arbeit trainieren/erlernen wir durch gezielte Kommunikation (körpersprachlich und verbal) Distanzkontrolle, Impulskontrolle und gezielte Umlenksignale (Stopp mit gleichwertiger Ersatzhandlung).

 

Die Skeptiker:

 

  • Könnte ich dem Hund nicht einfach einen Ball oder einen Dummy schmeissen anstelle eines Futterbeutels?

Wird der Futterbeutel einfach zum Werfen verwendet (analog Stöckchen, Kong und Co., die immer und immer wieder geworfen werden) und Hundi apportiert sie immer brav und erhält als Belohnung ein Guteli aus dem Futterbeutel – ist dies NICHT DIE FUTTERBEUTEL-ARBEIT, die ich selber mit meinen Hunden  betreibe und meinen Kunden vermittle! Auch wenn es ein Futterbeutel ist, der geschmissen wird, erziehen wir uns damit einen Junkie heran! Ein Junkie ist süchtig! Ein Junkie-Hund ist süchtig danach, dass ihm etwas geworfen wird, was er dann seinem Menschen bringt. Mit dem einzigen Ziel, dass es wieder (und wieder und wieder) geworfen wird. Das wollen wir auf keinen Fall!

 

Werden die Guteli (Leckerchen) einfach statt in der Jackentasche im Futterbeutel „transportiert“ und dem Hund nach jedem sauber ausgeführten Kommando aus dem Beutel eines ins Maul gestopft, ist dies NICHT DIE FUTTERBEUTEL-ARBEIT, die ich selber mit meinen Hunden betreibe und meinen Kunden vermittle!

 

  • „Jagdliche Aktivitäten wie Mantrailing, Hetzangeln, Futterbeutelsuche etc. verstärken den Jagdinstinkt des Hundes und sind demzufolge kontraproduktiv"

Solche unqualifizierten Aussagen hört man leider immer wieder, sogar von „Hundetrainern“. Wie oben beschrieben, ist der Jagdinstinkt bzw. das Jagen biologisch gesehen eine angeborene Verhaltensweise bei Hunden. Es ist also vorhanden, ob man nun Mantrailing oder Futterbeutelsuche betreibt oder nicht. In dem Moment, wenn Klein-Welpe zum ersten Mal einem vom Wind verwehten Blatt oder einem vom Züchter geworfenen Ball nachjagt, ist sozusagen der Schalter des Jagdverhaltens auf „on“ umgeschaltet und nicht mehr abzustellen! Jegliche Versuche, mit dem Hund die so oft gepriesenen „Anti-Jagd-Trainings“ durchzuführen, können diese angeborene Verhaltensweise nicht stoppen oder gar auslöschen – wie denn auch, es richtet sich gegen die Natur des Hundes, statt ihr zu entsprechen. Besser wäre demnach, einem jagdlich motivierten Hund kontrollierte Ersatz-Jagden (in Form von z.B. Mantrailing, Hetzjagd an der Reizangel, Apportier- und Wasserarbeit mit Futterbeutel etc.) anzubieten: hier darf er „jagen“, und zwar in kontrolliertem Rahmen und – das wohl Wichtigste: gemeinsam mit seinem Menschen.

 

Quellverweis:

  • PD Udo Ganslosser
  • Dirk Roos, Diplombiologe
  • Rolf Gattermann „Wörterbuch zur Verhaltensbiologie der Tiere und des Menschen“
  • Karin Jansen „Rassespezifisches Jagdverhalten bei Hunden“